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Patientenstorys

Ich lebe – denn das Leben ist mir wichtiger als der Tod!

Foto: Cristian Escobar via unsplash

Claudia Havelka

Krebspatientin

Claudia Havelka (53) hat Brustkrebs. Dieser hat sich in den vergangenen zehn Jahren in ihrem ganzen Körper breitgemacht. Im Interview erklärt die Wienerin, wie sie auch mit der Diagnose „unheilbar“ Spaß am Leben hat.

Frau Havelka, wie geht es Ihnen, haben Sie Schmerzen?

Sie meinen jetzt gerade? Nein. Heute ist ein guter Tag. Meine Hippiekommune (Metastasen) schmerzt nur manchmal. Und selbst wenn – dann stehe ich trotzdem auf und lebe dankbar den Tag, der vor mir liegt. Ich kann es mir nicht leisten, auf jedes Ziepen zu hören. Würde ich auf alle Schmerzen meines Körpers reagieren, dann käme ich vor Sorge nicht mehr zum Denken. Mit Sorgen, Ängsten, gar Hysterie würde ich mir selbst viel an Lebensqualität rauben. Der Spaß am Leben bliebe damit auf der Strecke.

Das heißt, Sie verdrängen Ihren Krebs?

Nein, dafür ist er zu präsent! Ich räume ihm nur nicht die höchste Priorität in meinem Leben ein. Die hat für mich immer noch das Leben selbst. Ich weiß, meine Zeit ist begrenzt, der Tod erwischt mich. Das ist seit meiner Geburt der sicherste Fakt in meinem Leben (lacht). Ich habe aber keine Angst vor dem Tod, die hatte ich auch nicht, als ich noch gesund war. Ich weiß, ich spiele auf Zeit – es ist eben keine Langspielplatte (lacht). Ich gehe abends ins Bett und bin dankbar für das, was ich tagsüber tun konnte. Mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen ist: Ich freue mich auf morgen!

Wie erleben Sie Ihre Tage?

Ich lebe von Tag zu Tag. Ich stehe früh auf und gehe recht früh schlafen. Der regelmäßige Ablauf hilft mir. Ich trinke in der Früh meine Tasse Kaffee. Wobei, seit einigen Tagen schmeckt er mir nicht mehr. Gut, dann trinke ich halt Tee. Ich kämpfe nicht gegen meinen Körper, wenn er plötzlich Kaffee verabscheut. Ich gebe nach, hake das ab.

Dann schaue ich, was ich mir für diesen Tag als Ziel setze. Schaffe ich die Schritte zum Aufzug, um die vier Etagen zum Postkasten zu fahren? Schaffe ich die 50 Meter zum Mistküberl? Wische ich Staub oder lasse ich es? Der ist schließlich morgen auch noch da (lacht). An guten Tagen male ich nach Zahlen oder mache Häkelarbeiten. Das bringt mir große Freude. Und das ist es, was zählt. Ich habe mit dem Häkeln etwas gefunden, was mich dazu bringt, morgens aufzustehen. Angefangen habe ich mit einem profanen Schal. Gerade häkele ich mit großem Spaß Drachen, die verkaufe ich sogar zweimal im Jahr auf dem Markt. So mancher hat mich schon gefragt, warum ich das tue und für wen. Und wenn ich dann antworte, dass die Handarbeit mich glücklich macht, dann schauen die Fragenden oft verdutzt drein. Viele haben in unserer Leistungsgesellschaft verlernt, einfach so Dinge zum Spaß zu tun – das kann sich nur einer wie ich auf dem Abstellgleis leisten …

Wie meinen Sie das?

Mit der Diagnose Krebs stehe ich plötzlich auf dem Abstellgleis des viel befahrenen Bahnhofs, der für unsere Gesellschaft steht. Die Züge, also die Gesunden, fahren ein und aus wie immer. Nur ich stehe plötzlich abseits und schaue dem Treiben zu. Anfangs nahmen sich die Züge noch die Zeit für ein Schwätzchen mit mir, der Kranken, doch schnell schon lief alles wieder nach Fahrplan. Sie rasen an mir vorbei. Wie sehr ich auch versuche mitzuhalten, ich akzeptiere inzwischen, dass der Krebs mich ausbremst. Ich kann den Fahrplan nicht mehr einhalten, mit mir lassen sich keine verlässlichen Pläne mehr machen.

Reagierte Ihr Umfeld mit derselben Akzeptanz?

Als sie von meiner Diagnose erfuhren, reagierten die Menschen um mich herum entweder, als läge ich schon im Sterben, oder mit dieser für unsere Zeit typischen lösungsorientierten Haltung, dass gegen jede Krankheit ein Kraut gewachsen sein müsse. Jede Behandlung – ich bin seit vier Jahren nahezu ununterbrochen in Chemotherapie – weckte neue Hoffnung, in mir und bei anderen. Doch Familie und Freunde verkraften es zunehmend schlechter als ich, wenn die Behandlung nicht anschlägt wie erhofft. Sie können mit ihrer Ohnmacht meiner unheilbaren Krankheit gegenüber nicht umgehen. Längst muss ich Trost spenden und Hoffnung auf die nächste Behandlung machen: Wenn’s die jetzt nicht gebracht hat, dann bringt’s halt die nächste!

Sie leben allein – hätten Sie gerne jemanden an Ihrer Seite?

Ich bin gelernter Single. Ich kann das.
Wenn ich allein bin, kann ich mich auch mal hängen lassen, ohne dass immer gleich einer fragt, was los ist. Sicher, manchmal ist es schwer, die Hippiekommune zu ertragen und sich mit den alltäglichen Dingen des Lebens wie Finanzen rumzuschlagen, aber ich bin nicht einsam! Ich habe Familie und Freunde. Und mir ab und an in den Hintern treten, um dies und das zu tun, das kann ich gut selbst (lacht).

Was wünschen Sie sich von Ihren Mitmenschen?

Ich wünsche mir, dass wir ehrlich zueinander sind. Wer mich fragt, wie es mir geht, sollte meine ehrliche Antwort erwarten und sich nicht insgeheim ein oberflächliches „Gut!“ erhoffen. Doch mit meiner Ehrlichkeit können die wenigsten umgehen. Dann fragt mich lieber nicht! Es wäre auch einfacher, wenn Besucher mehr Verständnis dafür aufbrächten, dass ich sie kurz nach der Ankunft bitten muss, wieder zu gehen, weil ich plötzlich nicht mehr kann. Wir müssen wieder lernen, schwach zu sein, Schwäche zuzugeben und zuzulassen. Neuerdings werde ich auf den Wiener Straßen angefeindet, wenn ich meine Fastglatze bedecke. Dann werde ich als eins der „Kopftuchweiberln“ abgestempelt. Wo ist denn die Toleranz der Wiener? Meine Glatze kennt ablehnende Blicke – jetzt kommen diese auch bei Kopftuch, Kapperl oder Hau- be? Mir geht’s längst nimmer um Schönheit. Ich werde mich nicht verstecken, nur weil man mir, anders als zum Beispiel bei einem Diabetiker, meine unheilbare Krebserkrankung ansieht.

Und was wünschen Sie sich für sich?

Ich wünsche mir Kraft für noch viele Tage, auch wenn sie jetzt mit Tee starten (lacht).

Herzlichen Dank, liebe Frau Havelka, dass Sie uns eine Stunde Ihrer Zeit für dieses Gespräch geschenkt haben!

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