Gerade bei der Mitteilung von schwerwiegenden Diagnosen muss ärztliche Betreuung aus mehr als nur fachlicher Kompetenz bestehen. Edgar Petru, Facharzt für Frauenheilkunde, erklärt, warum Empathie und Einfühlungsvermögen der Schlüssel zur bestmöglichen Therapie sind.
Univ.-Prof. Dr. Edgar Petru
Stellvertretender Klinikvorstand
Univ.-Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Klinische Abteilung für Gynäkologie
Medizinische Universität Graz
Foto: privat
Im Mittelpunkt der Kommunikation steht selbstverständlich die Patientin. Schon der erste Eindruck, den die Patientin beim Betreten des Besprechungszimmers vermittelt, ist relevant für das weitere Vorgehen. Genauso wichtig ist aber auch der erste Blick einer Ärztin/eines Arztes in die Krankenakte; denn der gesundheitliche Zustand ist von grundlegender Bedeutung für die weitere Therapie.
Entscheidend ist dabei, ob und wie stark die Patientin beeinträchtigt ist: Steht sie mitten im Berufs- und Familienleben, schöpft man alle möglichen Optionen einer modernen onkologischen Therapie aus. Dies ist nicht der Fall, wenn die Patientin bereits stark beeinträchtigt ist, wie etwa durch Demenz, eine schwere Leberzirrhose oder Lähmungserscheinungen nach einem Schlaganfall, oder sie allgemein bereits einen niedrigen Karnofsky-Index aufweist.
Dabei handelt es sich um eine Skala, anhand derer bei Patientinnen mit bösartigen Tumoren Einschränkungen von Aktivität, Selbstversorgung und Selbstbestimmung in Zahlen ausgedrückt werden können. Im Fall eines solchen niedrigen Index wendet man ein zurückhaltendes, palliatives Vorgehen an.
Die Therapie muss zur Lebenssituation passen
Trotz unterschiedlicher therapeutischer Maßnahmen ist die Vorgehensweise bei beeinträchtigten und nicht beeinträchtigten Patientinnen weitgehend analog. Der behandelnde Arzt bzw. die behandelnde Ärztin beginnt damit, die Lebens- und Wohnsituation der Patientin zu erfassen. Bei einer beeinträchtigten Patientin heißt das, zu eruieren, ob die Patientin allein lebt, sich in häuslicher Pflege befindet oder bereits in einem Pflegeheim untergebracht ist. Bei nicht beeinträchtigten Patientinnen steht die Familienkonstellation im Fokus: Gibt es betreuungspflichtige Kinder? Ist eine Unterstützung aus dem sozialen Umfeld möglich? Sind Aufwand und Belastung einer Biopsie der Patientin zumutbar, erfolgt im nächsten Schritt eine Gewebsprobe zur Bestimmung des aktuellen Rezeptorstatus.
Im Zentrum steht die Patientin
Ziel des dann folgenden Aufklärungsgespräches ist es, empathisch auf die Patientin einzugehen. Für die Wahl der optimalen Therapie sind Tumorcharakteristika, die auf eine erfolgversprechende Therapie hinweisen, aber auch individuelle Abneigungen gegen bestimmte Therapien und deren Nebenwirkungen – etwa im Fall von Haarausfall oder Neuropathie – von besonderer Bedeutung.
Bei beeinträchtigten Patientinnen wird dabei das Hauptaugenmerk auf die individuellen Bedürfnisse und vor allem die Herausforderungen gelegt; beispielsweise auf eingeschränkte Gehfähigkeit oder Schwierigkeiten beim Schlucken. Nicht beeinträchtigte Patientinnen verfügen im Normalfall über mehr Motivation, was bei der Wahl der Therapien entsprechend berücksichtigt werden muss. Ziel ist es letztlich, eingehend zu beraten und gemeinsam realistische und gleichzeitig effektive therapeutische Szenarien zu entwickeln.
In der Therapie beeinträchtigter Patientinnen konzentriert man sich dabei auf überschaubare und einfach anzuwendende Therapien mit palliativem Schwerpunkt. Bei nicht beeinträchtigten Patientinnen berücksichtigt man im Einzelfall die mögliche Chance einer Langzeitremission bzw. Stabilisation durch die Anwendung zielgerichteter Therapien in der Behandlung. Nicht zuletzt stehen heute vermehrt individualisierbare und personalisierbare Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. Diese sind von großer Bedeutung und sollten genutzt werden, damit die gewählte Therapie zur Patientin und ihrer Lebenssituation passt und sie von ihr auch in vollem Umfang mitgetragen wird.