Kinder erleiden andere Krebserkrankungen als Erwachsene. Prof. Wolfgang Holter, Leiter des St. Anna Kinderspitals und der St. Anna Kinderkrebsforschung erklärt, welche das sind und wie die Therapien verlaufen.
Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Holter
Leiter des St. Anna Kinderspitals und der St. Anna Kinderkrebsforschung © MedUni Wien/Matern
Wie viele Kinder erkranken jährlich an Krebs?
Wir rechnen in Österreich mit 160 Neuerkrankungen unter einer Million Kindern. Das entspricht jährlich ca. 250 Neuerkrankungen. Diese Rate ist über die Jahre hinweg relativ konstant geblieben.
Wie kommt es zu Krebserkrankungen?
Anders als bei Erwachsenen spielen Umwelteinflüsse fast keine Rolle. Ein Teil der Erkrankungen leitet sich aus der frühkindlichen Entwicklung her. Das sind Tumore, die aus der Embryonalentwicklung resultieren. Oft handelt es sich dabei um unreifes Restgewebe mit starkem Wachstumspotential. Ein Teil kann sich bereits im frühkindlichen Alter zu Tumoren entwickeln. Andere Erkrankungen treten mit einem Häufigkeitsgipfel im zweiten Lebensjahrzehnt auf, wenn der Körper wieder einen starken Wachstums- und Entwicklungsschub durchmacht.
Um welche Erkrankungen handelt es sich vorwiegend?
Die verbreitetste Krebserkrankung bei Kindern insgesamt ist die Leukämie. Sie tritt vor allem im Kleinkind- und Vorschulalter auf. Die zweithäufigste Erkrankung sind Tumore des Zentralnervensystems. Lymphome, also solide Krebserkrankungen des lymphatischen Gewebes, kommen am dritthäufigsten vor. Dann folgen in der Häufigkeit Neuroblastome, Wilms-Tumore und Knochentumore.
Wie unterscheiden sich Erkrankungen von Kindern und Erwachsenen?
Da Kinder von anderen Krebserkrankungen als Erwachsene betroffen sind, sind die Unterschiede doch recht groß. Wilms-Tumore, also embryonale Tumore der Nieren, und Neuroblastome sind bei Kindern relativ häufig, kommen bei Erwachsenen aber so gut wie nicht vor. Bei Karzinomen verhält es sich dagegen umgekehrt.
Wie verhält es sich mit Leukämie?
Obwohl sowohl Kinder als auch Erwachsene von Leukämie betroffen sind, handelt es sich vorwiegend um jeweils unterschiedliche Varianten. Die im Erwachsenenalter häufige chronische myeloische Leukämie tritt bei Kindern sehr selten auf. Die akute lymphoblastische Leukämie ist dagegen bei Erwachsenen vergleichsweise selten.
Die Behandlung von Erwachsenen und Kindern variiert daher auch stark?
Ja, denn es handelt sich in den meisten Fällen um unterschiedliche Erkrankungen. Die Entwicklung der Therapien war durch die Erkrankung bestimmt und nicht so sehr durch Altersgrenzen. Manche Erkrankungen kommen bei Kindern wie Erwachsenen vor. Dann kommen auch recht ähnliche Therapien und Medikamente zum Einsatz. Meist wurden zur Behandlung von Kindern aber oft andere therapeutische Schemata entwickelt und angewandt als bei Erwachsenen.
Was gibt es bei der Behandlung von Kindern besonders zu beachten?
Die Behandlung von Kindern unterscheidet sich auch aufgrund ihres eben kindlichen Organismus. Man ist mit einem anderen Nebenwirkungsspektrum konfrontiert und muss auf manches altersentsprechend besondere Rücksicht nehmen. Der Einsatz von Bestrahlungstherapien sollte zum Beispiel sehr vorsichtig erfolgen, um die weitere Entwicklung und auch die Fertilität im Erwachsenenalter nicht zu gefährden.
Gibt es abgesehen von therapeutischen Maßnahmen noch eine weiterführende Betreuung?
Genau wie Erwachsene werden auch Kinder psychosozial intensiv mitbetreut. Wichtig ist es dabei natürlich, dass man einen altersentsprechenden Zugang findet, um diese Ausnahmesituation beherrschbar werden zu lassen. Im Verlauf dieses Prozesses werden viele Gespräche geführt, um allmählich Akzeptanz für die Situation zu schaffen. Die Betroffenen müssen auf die notwendigen Schritte der Behandlung und auf die Veränderungen, die die Krankheit nach sich zieht, vorbereitet werden. In die Betreuung wird die gesamte Familie mit einbezogen und unterstützt.
Welche Veränderungen sind das?
Die Krebserkrankung eines Kindes ist eine Riesenbelastung für die gesamte Familie. Das gesamte Leben einer Familie ist davon betroffen – das reicht von der Berufstätigkeit der Eltern bis hin zu den Auswirkungen auf Geschwisterkinder. Familien sind daher von Anfang an in die Betreuung eng miteingebunden. Darüber hinaus gibt es auch eine Familienunterstützung durch die Elterninitiative für krebskranke Kinder, die aus Spendenmitteln viele Begleitmaßnahmen finanziert. Einen enorm wichtigen Beitrag leisten beispielsweise auch die Heilstättenschulen, die dafür sorgen, dass Kinder den Anschluss an ihre Schulklasse nicht verlieren. Die Botschaft muss lauten: Das Leben geht weiter!
Wie läuft die Behandlung ab?
Die Therapie folgt dem Prinzip der Risikoadaption. Das heißt Intensität und Dauer variieren. Erkrankungen mit hohem Risiko werden mit höherer Intensität behandelt. Erkrankungen mit sehr hohen Heilungsraten und geringer Rückfallneigung werden oft nur kurz und wenig aggressiv behandelt. Die Effektivität der Therapie wird diagnostisch aufmerksam verfolgt und je nach Ausmaß der Erkrankung und Ansprechen auf die Therapie permanent adaptiert. Rund 80% unserer Patienten werden durch die Therapie wieder dauerhaft gesund, bei der akuten lymphoblastischen Leukämie liegt die Heilungsrate sogar über 90 Prozent.
Wie lange dauert die Therapie?
Das ist natürlich stark abhängig von der Art und dem Ausmaß der Erkrankung, von der Art des Tumors bzw. der Leukämie. Bei Leukämietherapien liegt die Dauer insgesamt bei ca. zwei Jahren, wobei während der dabei enthaltenen langen Phase der sogenannten Dauertherapie die Kinder wieder in Schule oder Kindergarten reintegriert und wenig beeinträchtigt sind. Andere Erkrankungen benötigen Intensivtherapien, die über einige Monate laufen, die Therapie kann aber auch, wenn eine Krankheit mit vergleichsweise niedrigem Risiko vorliegt, nach wenigen Wochen beendet sein.
Wie sieht die Nachbetreuung nach einer erfolgreichen Therapie aus?
Den Kindern wird eine Langzeitnachsorge angeboten, um Rückfälle oder Spätfolgen, die sich aus der Erkrankung oder der Therapie ergeben können, frühzeitig zu erkennen. Solche Komplikationen betreffen aber nur einen Teil der Erkrankten. Je mehr Zeit vergeht, desto unwahrscheinlicher wird ein Rückfall.
Was kann man tun, um an Krebs erkrankte Kinder zu unterstützen?
Mir ist es natürlich ein großes Anliegen, die Forschung zu unterstützen, denn das verbessert auch die tagtägliche Behandlung. Man spendet natürlich nicht für die Medikamente oder die unmittelbare Versorgung der Patientinnen und Patienten, das wird von der öffentlichen Hand finanziert. Für die Forschung zu spenden, heißt die guten Erfolge und die hohen Heilungsraten zu unterstützen. Um es plakativ zu sagen: Was man heute investiert, kann schon morgen die Behandlung positiv beeinflussen.