Martina Hagspiel spricht über Krebs. Frech, mutig und mit einer großen Portion Humor. Und sie gibt mit der Initiative Kurvenkratzer-InfluCancer den vielfältigen Gesichtern und Geschichten eine Plattform.
Martina Hagspiel
Gründerin Kurvenkratzer
Warum hast du Kurvenkratzer-InfluCancer ins Leben gerufen?
Der Startpunkt dafür war meine eigene Brustkrebs-Erkrankung. Ich habe gemerkt, dass nicht nur ich, sondern auch mein nahes Umfeld mit der Situation total überfordert war. Natürlich haben mich viele gefragt, was sie denn für mich tun können, schließlich war ja ich diejenige mit der Glatze. Aber auch mein Umfeld hätte genauso Unterstützung gebraucht.
Viele Fragen konnte ich auch nicht wirklich beantworten, weil ich selber keine Erfahrungswerte hatte. Und du kannst nicht einfach auf die Meta-Ebene klettern und sagen, ja klar, logisch, ich befinde mich jetzt gerade in dieser Phase und benötige dementsprechend dies und das. Ich hätte mir damals Tipps und Tricks von Betroffenen gewünscht, auf die ich zurückgreifen kann. Ich habe dann mit vielen KrebspatientInnen gesprochen und dabei gemerkt, dass die Herangehensweise und der Umgang mit der Krankheit bei jedem grundlegend anders ist.
So unterschiedlich die Zugänge zum Thema Krebs sind, so verschieden sind auch die Geschichten auf der Plattform, oder?
Genau! Das Ziel war es, viele Geschichte über Krebs zu sammeln, unterschiedliche Lösungsansätze und verschiedene Charaktere zu zeigen. Jeder hat auf seine eigene Art und Weise einen Weg für sich gefunden. Vieles trifft gleich, wie zum Beispiel das Thema Haarverlust. Das ist ein sehr emotionaler Moment bei Frauen und Männern, weil auf einmal diese Machtlosigkeit sichtbar gemacht wird.
Aber auch dafür gibt es unterschiedliche Herangehensweisen. Wir wollen mit den Interviews zeigen, dass jeder den eigenen Umgang finden kann. Und zwar nicht nur aus der Sichtweise von PatientInnen, sondern auch den Angehörigen eine Stimme geben. Gemeinsam mit medizinischem Personal sind das unsere Dialoggruppen. Denen erzählen wir, lassen sie aber auch gleichzeitig erzählen.
Warum ist es so wichtig, dass man nicht über Krebs schweigt?
Im Zuge eines TED-Talks im Mai habe ich jene im Publikum gebeten aufzustehen, die selbst von Krebs betroffen oder die nahe Angehörige oder Freunde von KrebspatientInnen sind. Von 450 Menschen sind etwa 400 aufgestanden. Auch wenn es aufgrund diverser Awareness-Kampagnen den Anschein hat, dass viel über Krebs gesprochen wird, in der Praxis bzw.
im Krebsalltag haben wir es immer noch mit einem Tabu zu tun. Vielleicht fürchten sich Leute vor der Endlichkeit, einer Antwort, die sagt: Wahrscheinlich sterbe ich daran. Krebs kann tödlich sein, aber das ist das Leben auch. Ich kann mir auch nicht zu 100 Prozent sicher sein, dass ich bei der Straßenüberquerung nicht überfahren werde. Und von Straßenüberquerungen spricht man doch auch, oder?
Apropos darüber sprechen: Worauf möchtest du zum Beispiel jetzt hinweisen?
Ich würde gern die Aufmerksamkeit auf die Langzeitfolgen einer Krebserkrankung lenken. Nach einer Chemo- oder Bestrahlungstherapie braucht der Körper eine gewisse Zeit, um sich davon zu erholen, bis irgendwann ein gewisser Status erreicht ist. Es passiert durchaus, dass die Medizin und dein Umfeld davon ausgehen, dass ab dann wieder alles okay ist.
Zurück bleiben aber oftmals ein Müdigkeitssyndrom (Fatigue), Gelenksschmerzen oder Beeinträchtigungen der Konzentrationsfähigkeit. Damit müssen Menschen umgehen lernen. Krebs ist ein Lebensumstand, den es zu integrieren gilt, ein Lifestyle quasi.
Hast du das Gefühl, dass du intensiver auf deinen Körper hörst?
Ja, weil du bis zu einem gewissen Grad ständig im Hintergrund eine leise Sirene hörst. Schließlich weiß man ja, dass man sich selbst etwas Gutes tun soll. Das Haus in dem man lebt, muss man gut pflegen. Ich bin eine Zeit lang in Panik verfallen, wenn ich Stress hatte. Denn einer meiner Glaubenssätze war es, dass ich vor meiner Erkrankung zu viel Stress hatte.
Aber es ist jetzt deutlich ruhiger geworden. Ich bin quasi gesund – also die Wahrscheinlichkeit einer Wiedererkrankung ist bei mir nahe der eines gesunden Menschen. Ich genieße das! Ich bin zwar eine junge Frau in einem alten Körper – aber mit einer Leidenschaft fürs Kitesurfen!
Gibt es etwas Positives, das du aus deiner Erkrankung ziehen kannst?
Das ist eine der Fragen, die wir auch in unseren Interviews auf unserer Website stellen und die unsere InterviewpartnerInnen am leichtesten beantworten können. Du bekommst ein ganz anderes Bewusstsein dem Leben gegenüber. Ich habe gelernt, so oft wie möglich im Hier und Jetzt zu sein. Das ist für mich auch eine gute Lösung, um mit Angst umzugehen. Denn es gibt keine Gründe, im Hier und Jetzt Angst zu haben!